Neue Autotechnik beeinflusst Halbwertszeit

Ingolstadt – Drive-by-Wire, Connectivity oder User Experience – über solche Begriffe kann Karl-Heinz Rehkopf nur lachen. Denn der Unternehmer aus Einbeck bei Göttingen sitzt bisweilen am Steuer eines Benz Victoria aus dem Jahr 1894, der amtlich als ältestes zugelassenes Auto in Deutschland gilt.

Doch auch wenn Rehkopf hoch oben auf dem Bock seines Benz den technischen Fortschritt ignoriert, dürften sich viele Autofahrer Sorgen um die Halbwertszeit ihres Wagens machen.

«Denn in den letzten Jahren und Jahrzehnten haben sich die Innovationszyklen dramatisch verkürzt», sagt Hans-Georg Marmit von der Sachverständigen-Organisation KÜS. Selten seien deshalb neue Fahrzeuge so schnell gealtert wie heute. Es drängt sich angesichts technischer Revolutionen wie der zunehmenden Digitalisierung und der Elektrifizierung des Antriebs die Frage auf, wie alt neue Autos heute tatsächlich noch werden können.

Zwar spricht die Statistik eine andere Sprache und der Europäische Automobilherstellerverband ACEA meldet ein steigendes Durchschnittsalter für den Fuhrpark auf den Straßen des Kontinents. Lag es 2013 noch bei 10,5 Jahren, ist es bis 2017 auf mehr als 11 Jahre geklettert. Doch selbst wenn diese Entwicklung anhalten sollte, ist es schwer vorstellbar, dass Rehkopfs Ur-Ur-Enkel in 100 Jahren mit einem Mercedes Baujahr 2020 durch Einbeck fahren werden.

Werke verweisen auf bessere Haltbarkeit

Grund zur Sorge gibt es allerdings keinen, heißt es bei den Autoherstellern und ihren Zulieferern: «Ein Audi im Jahr 2020 wird nach den gleichen Vorgaben für Laufzeit und Dauerhaltbarkeit entwickelt, wie ein Audi aus den 1990ern», sagt Audi-Pressesprecher Udo Rügheimer und sieht die Kunden von heute sogar besser gewappnet.

«Egal ob der Guss und die Legierungen von Motoren, Beschichtungen gegen mechanischen Verschleiß oder Lacke – wann immer es um Materialgüte geht, führt Jahrzehntelange Erfahrung zu einer kontinuierlich verbesserten Ausgangsbasis», sagt Rügheimer.

Auch Funktionsteile wie die Scheinwerfer seien mit der LED-Technik mittlerweile wartungsfrei, ergänzt Rügheimer und attestiert etwa Kunststoffen ebenfalls mehr Widerstand gegen den Zahn der Zeit. «Und falls doch mal etwas kaputtgeht, gilt bei Audi für mindestens 15 Jahre das Versprechen einer gesicherten Ersatzteilversorgung.» Solange sind also zumindest Audi-Kunden auf der sicheren Seite.

E-Mobilität heißt auch weniger Verschleiß

Auch Zulieferer Continental ist überzeugt von einer langen Halbwertszeit: «Die Chancen stehen gut, dass wir zukünftig längere Lebensdauern sehen können, wenn wir an privat genutzte Fahrzeuge denken», sagt Pressesprecher Enno Pigge und nennt dafür gleich mehrere Gründe: Elektromobilität sorge dafür, dass bei weniger bewegten Teilen der Verschleiß reduziert ist.

«Die Elektronikplattformen basieren immer häufiger auf Standards, die auch bei Generationswechseln zueinander kompatibel sind.» Und nach dem Ende einer Lieferfähigkeit von Bauteilen biete der 3D-Druck auch lange nach dem Serienende die Möglichkeit für neue Ersatzteile.

Selbst externe Faktoren spielten den Autoherstellern in die Hände, sagt Pigge: So werde in den meisten Fällen etwa bei neuen Mobilfunkstandards auf die Abwärtskompatibilität geschaut. Zwar gäbe es auch Beispiele, bei denen erste Standards später dann vernachlässigt wurden. Doch können dann neue Formen von Adaptern für eine weitere Funktionalität sorgen.

Die Batterie – die große Unbekannte?

Während der E-Motor den Verschleiß reduziert, wird die Batterie zur großen Unbekannten, sagt KÜS-Sprecher Marmit. Doch erstens verweist zum Beispiel VW-Sprecher Christian Buhlmann darauf, dass die erste Generation von Hybriden und E-Fahrzeugen gezeigt habe, dass die Dauerhaltbarkeit der Komponenten vergleichbar mit denen von konventionellen Fahrzeugen ist. Und zweitens muss mit der Batterie nicht auch das Auto altern, gibt Marmit zu bedenken: «Nicht umsonst lassen sich Akkus tauschen und werden deshalb oft getrennt vom Auto zum Leasing oder zur Miete angeboten.»

Auch die zunehmende Vernetzung ist eher Vor- als Nachteil, sagt Buhlmann: Dank Apple Carplay oder Android Auto und einer direkten Internet-Anbindung könne das Auto heute und künftig in der gleichen Geschwindigkeit von neuen Apps und Funktionen profitieren wie das angebundene Smartphone selbst. Und die Elektronik-Architekturen neuer Fahrzeuge seien so programmiert, dass sie teilweise sogar über die Mobilfunkverbindung und ohne Werkstattbesuch update- und upgrade-fähig seien. «So können neue Funktionen auch noch Jahre nach dem Autokauf implementiert werden.»

Ein Autoleben kann auch 20 Jahre wirtschaftlich sein

An der Technik werde es deshalb kaum liegen, wenn ein Auto vorzeitig altert, fasst Continental-Sprecher Pigge zusammen: Das «erste Leben» von zehn Jahren ist ein Klacks und viele Fahrzeuge seien wirtschaftlich 20 Jahre zu betreiben.

Doch für ihn stellt sich eine ganz andere Frage: «Sind nach 30 Jahren die neuen Angebote der Mobilität nicht so viel ansprechender, als dass man einen Oldtimer Baujahr 2020 wirklich noch nutzen möchte? Vielleicht sind wir dann ja auch schon längst soweit, dass wir sehr verwundert schauen, wenn jemand selbst fahren will.»

Auch KÜS-Experte Marmit zweifelt nicht an den technischen Qualitäten, fürchtet aber trotzdem eine schnelle Alterung. «Es wird immer mehr Features und Funktionen geben, und viele davon kann man nicht nachträglich installieren oder dazu buchen,» sagt der Experte: «Wer die neusten Errungenschaften sein Eigen nennen will, der wird dann auch ein neues Auto kaufen müssen. Aber das war schon immer so und hat die Industrie bislang am Leben gehalten.»

Für Karl-Heinz Rehkopf und seinen Benz Victoria kommt das freilich nicht in Frage. Gemeinsam mit seiner Landrätin hat er einen viel einfacheren Weg gefunden, seinen Oldtimer fit für die Zulassung und damit für die Zukunft zu machen: Bei schlechter Sicht oder Dunkelheit muss der Klassiker in der Garage bleiben und ohne eine rote Kelle zum Winken als Ersatz für den fehlenden Blinker darf er auch nicht vom Hof.

Fotocredits: Audi AG,Audi AG,Fabian Kirchbauer,BMW AG,Audi AG,Daimler AG,Peter Steffen
(dpa/tmn)

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