Wie Fußgänger um den Gehweg kämpfen

Karlsruhe – Fußgänger haben keine Wahl. «Wer zu Fuß geht, muss die Gehwege benutzen» – so steht es in Paragraf 25 der Straßenverkehrsordnung. Doch das ist schwierig, wenn da kaum noch Platz ist und Mütter mit Kinderwagen, Senioren mit Rollator oder Rollstuhlfahrer auf die Straße ausweichen müssen.

Ob Berlin, Köln, Darmstadt oder Karlsruhe – in den Städten wird es immer enger. Parkende Autos, Lieferwagen, Leihräder, Werbetafeln und auch Müll breiten sich auf dem Bürgersteig aus, mit dem Frühling auch vermehrt wieder Cafés. Damit nicht genug: Angesichts trendiger E-Roller droht demnächst neues Ungemach.

«Hoheitsgebiet» des Fußgängers

Roland Stimpel will das nicht hinnehmen. Der Sprecher des Fußgänger-Lobbyverbands Fuss kämpft dafür, dass der Gehweg seinen Namen verdient. Er hat das Recht auf seiner Seite: Grundsätzlich müsse das Trottoir «Hoheitsgebiet» des Fußgängers bleiben, betont Andreas Krämer, Verkehrsexperte des Deutschen Anwaltvereins (DAV). Ausnahmen seien nur bei ausreichend breiten Gehwegen möglich.

Aber was ist ausreichend? Breite Flaniermeilen wie am Kurfürstendamm in Berlin sind rar. Verbindliche Vorgaben zur Gehwegbreite gibt es nicht. 2,50 Meter gelten laut Verkehrssicherheitsrat als angemessen. Doch davon sind die meisten Städte weit entfernt. Vielerorts werden Mindestbreiten angestrebt von 1,50 Meter (Berlin), 1,60 Meter (Karlsruhe) oder zwischen 1,50 und 2 Meter (Köln). Anderswo, wie in Darmstadt, muss zumindest ein Kinderwagen oder Rollstuhl durchkommen.

Doch selbst eigene Vorgaben werden kaum eingehalten. Sei es, dass Händler und Gastronomen wegen hoher Ladenmieten wie in Berlin auf den Gehweg ausweichen oder Leihräder und Ladesäulen Platz brauchen – Plätze und Fußwege werden zunehmend als Marktplatz entdeckt, kritisiert Städtetags-Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy.

Zugeparkter Geh- und Radwege

Die meisten Beschwerden gibt es nach wie vor wegen zugeparkter Geh- und Radwege. Und da drückt manche Kommune angesichts von Parkplatznot schon mal ein Auge zu. Ein Ärgernis nicht nur für den Berliner Fahrrad-Aktivisten Heinrich Strößenreuther. Er hat die App
«Wegeheld»entwickelt, mit der man Falschparker anschwärzen kann.

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) forderte im Kampf gegen
Falschparker speziell Karlsruhe und Ulm zum Handeln auf. Doch das ist gar nicht so einfach: Vor zweieinhalb Jahren kochte in Karlsruhe die Volksseele hoch, als die Stadt ohne Vorwarnung Gehwegparkern Knöllchen verpasste. Die Verwaltung ruderte zunächst zurück und stellte Verfahren ein. Nun gibt es das Konzept «Faires Parken in Karlsruhe» – und seit Jahresbeginn kein Pardon mehr für Falschparker.

Fußgänger haben jetzt mehr Platz, Autofahrer mehr Frust. «Sehr viele Parkplätze sind weggefallen», kritisiert Massimo Ferrini, Vorsitzender des Bürgervereins Karlsruhe-Mühlburg. Wer auf dem Gehweg parkt, muss nach dem Bußgeldkatalog zwischen 20 und 35 Euro zahlen, je nach Dauer und Behinderung.

Zu wenig, findet Minister Hermann. Viele Städte seien zu lasch bei der Durchsetzung von Fußgängerrechten, meint auch Fußweg-Aktivist Stimpel. So ist aus seiner Sicht zum Beispiel in Berlin Anwohnerparken viel zu günstig; zudem würden dort geringe Sondernutzungsgebühren Kneipenbesitzer zum Vollstellen des Gehwegs geradezu einladen.

Furcht vor Elektro-Tretrollern

Über Falschparker, Fahrradrüpel und Gastronomen in Berlin-Mitte, die mit ihren Stühlen und Tischen auf dem Trottoir Fußgänger zum Hindernislauf zwingen, ärgert sich Stimpel schon länger. Wenn jetzt noch «Elektro-Raser» und «Knochenbrecher» hinzukommen – so nennt er die neuen Roller -, dann droht seiner Ansicht nach ernste Gefahr.

In vielen europäischen Metropolen flitzen die E-Scooter schon herum. In Deutschland könnten ab Sommer sogar schon Jugendliche damit über Gehwege sausen – falls der Bundesrat zustimmt. Ein Entwurf des Bundesverkehrsministeriums sieht vor, dass langsamere E-Fahrzeuge (unter zwölf Stundenkilometer Höchsttempo) Gehwege benutzen müssen.

Für Stimpel würde das einen Rückfall in die Zeit vor 1825 bedeuten. Damals wurden in Berlin die ersten Gehwege angelegt – zum Schutz der Fußgänger vor Kutschen und Reitern. Mit den E-Rollern würden zum ersten Mal Motorfahrzeuge auf Gehwegen fahren dürfen, kritisiert er. «Wenn das einmal erlaubt ist, fährt hier künftig jeder.»

Der Fußgänger-Lobbyist hat mächtige Verbündete. Polizei und Städtetag befürchten zunehmende Konflikte, der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) warnt vor «großem Unfallpotenzial», weil die Roller viel schneller sind als Menschen zu Fuß. «Ein Fußgänger ist mit maximal sieben, faktisch eher zwischen vier und sechs Stundenkilometern unterwegs», sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer. Selbst wenn es nicht mehr Unfälle gibt: «Allein die Komforteinschränkung des Fußgängers auf seinem Weg ist eigentlich nicht hinnehmbar.»

Im Notfall Tempolimit

Die Stadt Karlsruhe sieht es pragmatisch: Tretroller ohne Elektroantrieb sind schon jetzt einige unterwegs – ohne Probleme. Der ADAC fordert, dass Auswirkungen durch E-Roller auf den Fußverkehr jedenfalls genau dokumentiert werden. Notfalls müsse das Roller-Tempo an Fußgänger angepasst werden.

Für Berlin und andere Städte stehen schon mehrere Firmen für Leih-E-Roller in den Startlöchern. Stimpel mag sich gar nicht ausmalen, wie es auf den Fußwegen künftig zugehen wird. Er hofft, dass der E-Roller-Entwurf im Bundesrat gekippt wird. «Wir sind bei allen Verkehrsministern der Länder aktiv.»

Sein Verband hat nur 500 Mitglieder. Wegen der E-Roller sieht er sich nun aber von vier Millionen Mitstreitern der Behinderten- und Blindenverbände unterstützt. Und von über 80 Millionen Deutschen: «Das sind schließlich auch alles Fußgänger.»

Fotocredits: Uli Deck
(dpa)

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