Ingolstadt – Eigentlich hätte es dieses Auto gar nicht geben dürfen. Doch wenn sich auch nur einer an diese Vorgabe gehalten hätte, dann würde es wahrscheinlich die ganze Marke nicht mehr geben.
Denn als vor 50 Jahren gegen den ursprünglichen Willen der VW-Konzernleitung der erste Audi 100 präsentiert wurde, hat sein Erfolg den Bayern das Überleben als eigenständige Marke gesichert und ihnen zugleich den Weg in die Oberklasse geebnet.
Audi im Schatten der Großen
Die Geschichte der Limousine beginnt allerdings schon etwas früher, sagt Peter Kober von der Audi-Tradition in Ingolstadt. Und sie liest sich ein bisschen wie das Drehbuch einer TV-Saga über die deutsche Großindustrie – mit klar verteilten Rollen. Da ist auf der einen Seite der übermächtige VW-Konzern, der mit seinem Käfer so sehr die Autowelt dominiert, dass er mit der Produktion in Wolfsburg kaum hinterherkommt. Und da ist auf der anderen Seite die Auto Union.
Die wurde nach dem Krieg zerschlagen und wird jetzt als Audi zum Spielball der PS-Branche. Erst unter den Fittichen von Mercedes, dann von VW übernommen, baut die Marke mit den vier Ringen keine wirklich eigenen Autos, sondern Fahrzeuge, die der aus Stuttgart nach Ingolstadt gewechselte Technikchef Ludwig Kraus nur abfällig «Bastarde» nennt, weil sie Motoren von Mercedes und eine Karosserie von DKW kombinieren.
Geburt des Audi 100
Bei der Konzernmutter in Wolfsburg können sie damit sehr gut leben, weil sie insgeheim doch nur auf die Produktionskapazitäten in den Audi-Fabriken spekulieren. Sie verbieten der Tochter deshalb eigene Entwicklungen. «Doch Kraus war ein zu überzeugter Ingenieur, als dass er sich dieser Ansage gefügt hätte», sagt Kober. Stattdessen entwickelt er mit einer kleinen Mannschaft als ersten wirklich eigenständigen Audi der Nachkriegszeit eine große Limousine für die Spitze der Modellpalette.
Die Arbeiten erfolgen unter höchster Geheimhaltung. Doch irgendwann entdeckt durch einen dummen Zufall der amtierende Auto-Union-Chef Rudolf Leiding hinter einem Vorhang in der Styling-Halle ein 1:1-Modell des neuen Wagens. Leiding lässt sich von Kraus aber schnell überzeugen, und er darf den Entwurf auch in Wolfsburg präsentieren. Dort gibt Konzernchef Heinrich Nordhoff wider Erwarten grünes Licht für die Serienentwicklung. Die geht so schnell, dass die Limousine als Audi 100 schon im Herbst 1968 ihre Weltpremiere feiert und überwältigende Publikumsreaktionen erntet.
Fortschrittliche Technik
Das lag sicher auch daran, dass der Audi 100 passend zum Zeitgeist der 1968er mit so vielen Konventionen gebrochen hat, sagt Marc Jansen aus Aachen, der dem Audi 100 Coupé S Club Deutschland vorsteht und selbst mehrere Oldtimer aus dieser Generation fährt. Zwar sah er ziemlich konventionell aus und erinnerte angesichts Kraus’ Stuttgarter Prägung im Design gefährlich an Mercedes.
Doch als erster und einziger seiner Art setzt der Wagen auf Front- statt Heckantrieb. Und weil für Audi Leichtbau schon damals ein Thema ist, kann sich der in drei Leistungsstufen mit 59 kW/80 PS, 66 kW/90 PS oder 74 kW/100 PS lieferbare Vierzylinder in den Tests der Fachpresse überraschend oft gegen den Strich-Acht von Mercedes oder den BMW 2000 durchsetzen. Mit seinen 1050 Kilo ist der Audi 100 nicht nur deutlich leichter und oft schneller als die Konkurrenz, er ist auch bis zu 25 Prozent sparsamer, was ihm in der aufziehenden Ölkrise zusätzlichen Rückenwind verschafft.
Ausführungen
Audi lässt zudem Varianten folgen: Einen potenten 100 GL, der mit 82 kW/112 PS so manchen Sechszylinder scheuchen kann, eine zweitürige Coupé-Limousine und danach ein Fastback-Coupé, das auf der IAA 1969 gezeigt wird.
Erfolgsmodell
Frontantrieb, Leichtbau, überraschend gute Fahrleistungen und vernünftige Verbräuche – so wird der 100er zum Erfolgsmodell für Audi. Von der Degradierung zur Käferfabrik ist keine Rede mehr. Stattdessen schreibt der 100 das erste Kapitel einer langen Geschichte. Denn statt der geplanten 300.000 werden laut Audi-Chronik am Ende mehr als 800.000 Autos gebaut, bevor das intern C1 genannte Flaggschiff 1976 in die zweite Generation (C2) geht. Der 100er wechselt wie alle Audi-Modelle in den 1990er Jahren den Namen und wird seit 1994 als A6 verkauft.
Preistendenz Audi 100:
Eine viertürige Limousine aus den ersten Jahren ist noch für 12.000 bis 15.000 Euro zu bekommen. Und für den Zweitürer müssen nur wenig mehr hingeblättert werden. Selbst besonders gute und gesuchte Varianten kosten selten mehr als 20.000 bis 22.000 Euro, schätzt Marc Jansen aus Aachen, der dem Audi 100 Coupé S Club Deutschland vorsteht. «Doch die Preise steigen», sagt der Experte. «Wer interessiert ist, steigt deshalb besser früher ein als später.»
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(dpa/tmn)