Ingolstadt – Normalerweise schauen Designer gerne nach vorn. Doch wenn Audi-Stilführer Marc Lichte über den kommenden E-Tron spricht, dann lenkt er den Blick bisweilen auch zurück.
Schließlich soll das erste Elektroauto aus Ingolstadt nicht nur den Weg in die Zukunft ebnen, sondern auch die Rücksicht revolutionieren. Und das gilt im Wortsinn: «Denn als unser erstes Auto in großen Stückzahlen werden wir den E-Tron ohne Außenspiegel bauen und stattdessen auf Kameras setzen», sagt Lichte über das Akku-SUV, das in der zweiten Hälfte 2018 seinen Einstand geben soll.
Damit reagieren die Bayern auf einen Trend, der bei Studien und Showcars schon seit Jahren zu sehen ist, es auf der Straße aber bislang nur in Kleinserien wie den VW XL1 geschafft hat. «Denn erstens braucht man dafür noch Sondergenehmigungen der Zulassungsbehörden und zweitens waren die Übertragungsqualität und die Lichtstärke lange Zeit zu mäßig», beschreibt VW-Designchef Klaus Bischoff die Hürden, die eine Einführung der neuen Technologie noch gebremst haben. Von den deutlich höheren Kosten ganz zu schweigen.
Doch es gibt gute Gründe, die für Kameras statt Spiegel sprechen, erläutert der oberste BMW-Elektroniker Elmar Frickenstein, der ebenfalls schon einige Prototypen mit entsprechender Technik auf die Messebühnen gerollt hat. Auf der einen Seite sei das natürlich eine Frage des Images und der Wirkung auf den Kunden, weil Kameras statt Spiegel als modern und cool angesehen würden, argumentiert der Ingenieur. «Aber auf der anderen Seite geht es ganz banal um den Luftwiderstand und mit ihm um den Verbrauch.»
Ein paar Gramm CO2 pro Kilometer lassen sich damit in realen Messverfahren durchaus sparen, argumentieren die Experten bei den Herstellern und rechnen das für Elektroautos eben in eine größere Reichweite um.
Zudem versprechen sie mit den neuen Technologien ein größeres Sichtfeld und mit ihm mehr Sicherheit. Denn sie wollen die Spiegel nicht einfach durch Kameras ersetzen, sondern die Bilder entsprechend aufbereiten und mit so genannter Augmented Reality (AR) Technik anreichern.
«Das beginnt bei der Markierung einzelner Hindernisse und endet damit, dass Teile der Fahrzeug-Karosserie kurzerhand durchsichtig werden», erläutert ein Entwickler bei Jaguar Land Rover, wo man der AR-Technik sei dank beim Fahren über steile Kuppen auf diese Weise zum Beispiel quasi durch die Motorhaube auf die Fahrbahn sehen kann.
Und im amerikanischen Elektroauto Chevrolet Bolt hat man nur deshalb eine so gute Rücksicht, weil die Elektronik das Spiegelbild mit der Übertragung einer Kamera mischt und man so durch die Karosseriesäulen hindurchsehen kann. «Der Tote Winkel ist damit Geschichte», sagt ein Entwickler aus dem Bolt-Team.
Auch Nissan hat so eine Technik in den USA jetzt in Serie gebracht und hilft dem Fahrer des Geländewagens Armada damit bei der besseren Rückschau. Denn damit man selbst dann noch etwas nach hinten sieht, wenn der Kofferraum randvoll geladen und der Blick blockiert ist, schalten die Japaner dann einfach das Bild der Rückfahrkamera auf den Monitor hinter dem verspiegelten Deckglas.
All diese Technologien sind aber womöglich nur Übergangslösungen, an die sich die Autofahrer vielleicht gar nicht groß gewöhnen müssen, sagt Laurens van den Acker. Zwar wird die Zahl der Kameras in den Fahrzeugen eher zunehmen. Doch das Interesse der Insassen an deren Bildern dürfte mit der wachsenden Autonomie der Elektronik rapide nachlassen, glaubt der Renault-Designchef.
«Und wenn man sich irgendwann komplett auf den Autopiloten verlässt und auf das Lenkrad und die Pedale verzichtet, dann hat sich auch der Blick zurück gar vollends erledigt», sagt van den Acker.
Fotocredits: Audi AG,Audi AG,Jim Frenak,Nissan,Nissan,Chevrolet
(dpa/tmn)