Karlsruhe – Das Bundesverfassungsgericht schützt Autofahrer vor einer zu weitgehenden Erfassung ihrer Nummernschilder durch die Polizei.
Nach Klagen mehrerer Betroffener aus
Bayern,
Hessen und Baden-Württemberg erklärten die Karlsruher Richter die Vorschriften zum automatischen Abgleich von Kfz-Kennzeichen mit Fahndungsdaten in den drei Ländern zum Teil für verfassungswidrig. Sie verstießen gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, heißt es in den Beschlüssen (Az. 1 BvR 2795/09 u.a.).
Automatisierter Abgleich
Der Kennzeichen-Abgleich zur Gefahrenabwehr ist in den Polizeigesetzen der Länder geregelt. Gegenstand der Klagen waren nur die Vorschriften in den drei Bundesländern, sie dürfen in dieser Form höchstens bis Ende des Jahres in Kraft bleiben. Die Technik nutzen auch andere Länder, etwa Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern.
Dabei werden mit speziellen Geräten an der Fahrbahn die Nummernschilder aller vorbeifahrenden Autos gescannt und kurz mit Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung erfasst. Die Insassen bekommen davon nichts mit. Ergibt der automatisierte Abgleich mit dem Fahndungsbestand keinen Treffer, werden die Daten sofort wieder gelöscht. Zeigt das System eine Übereinstimmung an, überprüft ein Polizist den Fall und veranlasst gegebenenfalls die Verfolgung.
Die Polizei setzt auf die Technik, um gestohlene Autos zu finden oder polizeibekannte Unruhestifter auf dem Weg zu einer Großveranstaltung oder einer Demonstration abzupassen. Auch im Kampf gegen grenzüberschreitende Kriminalität oder beim Aufspüren von Menschen ohne Aufenthaltsberechtigung kommt das Verfahren zum Einsatz.
Einsatz in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg
Bayern nutzt die Geräte seit 2006 und betreibt nach eigenen Angaben inzwischen 22 stationäre und sechs mobile Anlagen. Daran fahren demzufolge im Monat durchschnittlich rund 8,5 Millionen Fahrzeuge vorbei. Dies führe im Jahr zu rund 10.000 Treffern.
Die hessische Polizei verwendet das System laut Innenministerium nur noch vereinzelt an der Autobahn 3 nahe Limburg. 2017 seien mehr als eine halbe Million Kennzeichen erfasst worden, es habe 5129 Treffer und 344 Kontrollen gegeben. Die Polizei in Baden-Württemberg ließ vom Mai bis November 2017 in einem Pilotversuch immer wieder Kennzeichen erfassen, hauptsächlich um Wohnungseinbrecher aufzuspüren.
Urteil im Jahr 2008
Das Bundesverfassungsgericht hatte
2008 schon einmal wichtige Vorgaben zum Kennzeichen-Abgleich gemacht. Damals erklärten die Richter Vorschriften in Hessen und Schleswig-Holstein für nichtig, weil sie unverhältnismäßig und unklar waren. Es sei nicht auszuschließen, dass über längere Zeit Bewegungsprofile entstünden.
Die neuen Entscheidungen gehen darüber noch hinaus. 2008 hatte der Erste Senat angenommen, dass nur dann Grundrechte berührt sind, wenn die Daten nicht sofort gelöscht werden. Jetzt gehen die Richter davon aus, dass das immer der Fall ist – schon der Scan an sich sei freiheitsbeeinträchtigend. «Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden», heißt es in einem der Beschlüsse.
Beanstandungen der Richter
Im Einzelnen gibt es unterschiedliche Beanstandungen. Bayern etwa hat gar keine Gesetzeskompetenz, um den Abgleich unmittelbar zum Grenzschutz zu erlauben, das ist Sache des Bundes. Außerdem müssen die Kontrollen dort verpflichtend dokumentiert werden. Zur Schleierfahndung dürfen die Scans in allen drei Ländern nur mit Grenzbezug und nicht auf allen Durchgangsstraßen eingesetzt werden. Baden-Württemberg und Hessen müssen künftig die Fahndungsdaten enger eingrenzen, mit denen beim konkreten Einsatz abgeglichen wird.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verteidigte den Kennzeichen-Abgleich als wichtiges Instrument der Polizei im Kampf für mehr Sicherheit. Man werde das Gesetz nun den Vorgaben anpassen. Auch das hessische Innenministerium erklärte, die Technik werde nicht grundsätzlich infrage gestellt. Baden-Württemberg will den Beschluss gründlich und sorgfältig auswerten und «die erforderlichen rechtlichen Änderungen zu gegebener Zeit vornehmen».
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(dpa)