Bremervörde – Bei Ford in Köln arbeitet seit kurzem ein Popo-Simulant: Ein Roboter in Form eines menschlichen Rumpfes nimmt wieder und wieder auf Autositzen Platz. Insgesamt 25 000 Mal pro Sitz innerhalb von drei Wochen. So erhalten die Ingenieure wichtige Erkenntnisse, wie sich ein Autositz in zehn Jahren Alltagseinsatz abnutzen würde. Keine unwichtigen Daten, denn wie man im Auto sitzt, hat entscheidenden Einfluss auf die orthopädische Gesundheit des Fahrers.
«Nahezu ein Jahrhundert lang haben die herkömmlichen, meist sehr einfachen Autositze den Rücken teils aufs Äußerste strapaziert», sagt Tanja Cordes von der Aktion Gesunder Rücken (AGR) in Bremervörde. Das monotone Verharren auf einem herkömmlichen Autositz sei «pures Gift» für den Rücken.
Der Verein AGR hat sich der Prävention und Behandlung von Rückenschmerzen verschrieben und vergibt seit 2003 auch Gütesiegel für Autositze. Der erste AGR-zertifizierte Sitz wurde 2003 im Opel Signum eingebaut. Mittlerweile können Kunden jede neue Modellreihe des Herstellers mit den knochenfreundlichen Sitzen bestellen, was für Mercedes-Modelle durch die Bank weg gilt.
Im Hintergrund läuft der Prozess mit den Zulieferern ab, von denen Adient im Sitzbereich einer der größten ist. «In Adients Entwicklungszentren spielt Ergonomie seit jeher eine wichtige Rolle», sagt Sprecher Ingmar Remus. «Wir haben die Empfehlungen des Vereins Aktion Gesunder Rücken sowie diejenigen anderer Organisationen im Bereich Ergonomie bei der Sitzneuentwicklung stets im Hinterkopf.»
Im Opel Astra kostet zum Beispiel der AGR-Fahrersitz 390 Euro Aufpreis, 295 Euro fallen an, soll auch der Beifahrer ergonomisch sitzen. «AGR-Sitze eignen sich besonders gut für Langstrecken», sagt Opel-Sprecher Alexander Bazio. Er räumt zugleich ein, dass das Label auch ein gutes Marketinginstrument sei. Die AGR-Sitze seien nachgefragt, während man in den herkömmlichen Sitzen ebenfalls schon sehr bequem unterwegs sei.
Während auch Peugeot oder DS mit dem neuen SUV DS 7 auf den Zug aufspringen, können im Maybach sogar schon die Fondpassagiere AGR-gerecht reisen. Volkswagen etwa bietet neben Pkw auch Nutzfahrzeuge mit Ortho-Sitzen an. Die Modelle Amarok und Crafter lassen sich entsprechend mit «Ergo Comfort-Sitzen» bestücken.
Zur Kür eines guten Autositzes gehören Komfortmerkmale wie Sitzheizung und -ventilation, einstellbare Seitenwangen, Massagefunktionen oder Sitzdynamiksysteme mit aufblasbaren Kissen, die etwa in Kurven Zentrifugalkräfte kompensieren und den Körper der Insassen stabilisieren. Eine solche Funktion bietet etwa Mercedes an.
Noch nicht im Alltagsauto angekommen sind dagegen Sitze, die sich nicht nur um die orthopädische Gesundheit kümmern, sondern medizinische Parameter messen. So stellte Faurecia, einer der größten Autozulieferer, auf der IAA 2017 die jüngste Fortentwicklung des Autositzes «Active Wellness» vor. Im Zuge der Automatisierung des Fahrens sollen mit Technik voll gepackte Sitze Daten des Fahrers sammeln und auswerten – den Herzrhythmus, die Atemfrequenz.
Wird auf diese Weise Stress diagnostiziert, wird die Massagefunktion aktiviert oder die Sitzbelüftung. In der jüngsten Entwicklungsstufe kann der Faurecia-Sitz einschätzen, ob der Fahrer bei Müdigkeit oder Stress nicht vielleicht sicherer im autonomen Fahrmodus reist. Dank «der Verschmelzung von biometrischen Daten, vorausschauender Analyse und dem vernetzten Fahrzeug zu einer integrierten Technologie» könne für das Wohlbefinden des Fahrers und mehr Sicherheit im Auto gleichermaßen gesorgt werden, sagte der Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei Faurecia Seating, Gregor Knauer.
Während solche Sitze noch nicht auf der Straße angekommen sind, können Autofahrer Ergo-Sitze in ihrem Gebrauchten nachrüsten. Recaro etwa hat Modelle wie den Sitz «Orthopäd» (ab 2015 Euro, mit Sitzklimatisierung) oder den «Ergomed E» (ab 1490 Euro, wahlweise mit Seitenairbag) im Programm. Bevor man das alte Gestühl aber rausreißt, prüfen Autofahrer besser, ob der Nachrüstsitz mit dem eigenen Auto kompatibel ist. Recaro rät vorab zudem zur Sitzprobe.
Und AGR-Expertin Cordes rät trotz all der modernen Technik zu regelmäßigen Pausen während der Fahrt mit Gymnastik auf dem Parkplatz. Denn anders als im Büro, wo man sich auch sitzend zur Auflockerung wenigstens mal drehen und die Schultern kreisen lassen kann, sitzt man im Auto oft über Stunden meist starr und unbewegt.
Fotocredits: Faurecia,AGR/Daimler AG,Kolja Schmidt,AGR/Volkswagen,AGR/Opel,Christin Klose
(dpa/tmn)