Stuttgart – Er war wie ein Auto von einem anderen Stern: Als Mercedes auf Drängen des amerikanischen Importeurs Max Hoffmann den 300 SL 1954 vom Rennwagen zum Straßenauto weiterentwickelte, eroberte der schnelle Schwabe die Herzen der Schickeria im Sturm:
Fahrleistungen, von denen Porsche & Co nur träumen konnten, und dazu die spektakulären Flügeltüren machten das Coupé mit Stern zum Liebling der Stars. Doch wie so oft bei ganz besonders hellen Sternen, drohte der des Flügeltürers schnell wieder zu verglühen.
Zwar kann man es sich heute kaum vorstellen, so heiß begehrt ist der Klassiker und so abgehoben sind seine Preise: Doch in den 1950ern war die Leidenschaft so schnell abgekühlt, dass 1957 nur drei Jahre nach der Markteinführung nur noch 70 Coupés verkauft wurden, sagt York Seifert aus Ingolstadt, der das Magazin des Mercedes-Benz 300 SL Clubs in Deutschland herausgibt.
Gut, dass da noch einmal der rührige US-Importeur Hoffmann in die Bresche sprang und die Schwaben mit einer Garantieabnahme von mehreren hundert Exemplaren in die Verlängerung lockte. Allerdings nur, wenn sie statt des Coupés diesmal einen Roadster bauen würden. Der war zwar schon früh geplant und bereits 1955 als Vorserienfahrzeug fertig. Doch beschlossen wurde der Wagen erst deutlich nach dem Coupé. So wurden beide nacheinander angeboten. Der Roadster trat 1957 das Erbe des Flügeltürers an.
Für Hoffmanns Forderung gab es gute Gründe: «Denn so spektakulär die vom Gitterrohrrahmen der Rennwagen erzwungenen Flügeltüren ausgesehen haben, so unpraktisch waren sie auch», sagt Seifert. Schon für Männer war das Ein- und Aussteigen trotz abknickbaren Lenkrades schwierig. Aber mit einem Rock oder Kleid war der 300 SL kaum damenhaft zu nutzen. Außerdem wird es im Sommer in dem Coupé bereits nach wenigen Minuten heiß wie in einem Backofen, und zum Reisewagen fehlt ihm schlichtweg der Kofferraum.
Auch die aus Kostengründen vom 300er Adenauer-Mercedes übernommene Zweigelenk-Pendel-Hinterachse hatte so ihre Tücken. So hat Mercedes dem 300 SL nicht nur die Flügel gestutzt und das Dach abgenommen, sondern den Roadster deutlich modifiziert. Zwar blieb der breite Schweller, doch konnte man durch die konventionellen Türen bequem einsteigen. Im langen Heck blieb genug Platz für zwei, eher vier Reisetaschen. An Frischluft herrschte freilich kein Mangel mehr, und mit der Eingelenk-Pendelachse zwischen den Hinterrädern wurde aus dem riskanten Racer ein kommoder Cruiser.
Das Gewicht stieg durch den modifizierten Gitterrohrrahmen gegenüber dem Coupé um 35 auf 1330 Kilogramm. Zusammen mit dem 1958 vorgestellten Hardtop wog das offene Auto sogar 75 Kilogramm mehr als das Coupé, und das Spitzentempo sank von 260 km/h auf 250 km/h. «Prompt werfen Coupé-Enthusiasten dem Roadster seine weichere Charakteristik gegenüber dem Flügeltürer vor, nennen ihn gar ein rollendes Wohnzimmer», fasst das Mercedes-Archiv den Geist der Zeit zusammen: Doch dass der Einstieg nun bequemer sei, das klappbare Lenkrad wegfallen könne und die Kurbelfenster bei aufgesetztem Hardtop für Frischluft sorgten, erleichtere den alltäglichen Betrieb ungemein.
Zwar beweisen Modelle wie der jetzt vom US-Sammler Bruce Iannelli nahezu originalgetreu nachgebaute Dienstwagen von Rennfahrer Paul O’Shea, dass auch der Roadster durchaus zum Sieger taugt. Nicht umsonst hatte der Amerikaner im Jahr der Markteinführung damit gleich die US-Sportwagenmeisterschaft in seiner Klasse gewonnen.
Auch heute brüllt der Reihensechszylinder die Leistungsbereitschaft seiner 158 kW/215 PS leidenschaftlich aus den Endrohren. Und es schmeichelt der Eitelkeit des Fahrers, wenn sich alle Blicke auf sein Auto richten. Und spätestens beim ersten Gasstoß merkt man, dass der Renner noch lange nicht in Rente ist.
Beim Tritt aufs Gaspedal heult die Maschine auf, und mit dem Knauf des dünnen Schaltstocks sortiert der Fahrer das Vierganggetriebe. Die Nadel des Drehzahlmessers klettert locker auf über 4000 Umdrehungen, und der Roadster prescht davon. Rund zehn Sekunden dauert es, dann hat er aus dem Stand die 100-km/h-Grenze durchbrochen. Und wenn der Tachometer auch heute noch stimmt, schafft man deutlich über 200 km/h. Und wo der Pilot nach so einer Raserei aus dem Flügeltürer aussteigt wie aus dem Eierkocher, muss er sich nach dem heißen Ritt im Roadster allenfalls die Frisur richten und kann sich überall sehen lassen.
Fotocredits: Royce Rumsey,Stephen Reuß,Daimler AG,Stephen Reuß,Daimler AG,Stephen Reuß
(dpa/tmn)