Berlin – Noch vor kurzem wirkten Roboter-Taxis als ferne Zukunfts-Vision. Jetzt ist die Zukunft auf einmal da. Als Kunde des Fahrdienstes Uber in der US-Stadt Pittsburgh hat man eine Chance, dass nach der Bestellung per App ein selbstfahrender Ford aufkreuzt. Die Fahrkünste des Computers werden noch von Uber-Mitarbeitern überwacht, die gelegentlich eingreifen.
Aber in Pittsburgh – genauso wie in Singapur beim Start-up NuTonomy zusammen mit dem asiatischen Uber-Konkurrenten Grab – passiert es gerade zum ersten Mal, dass nicht nur Techniker, sondern auch Menschen von der Straße in Roboterwagen sitzen.
Und das ist erst der Anfang, denn auch anderswo wird fieberhaft daran gearbeitet. Durch die Google-Heimatstadt Mountain View surren schon seit Jahren die kleinen elektrischen Zweisitzer des Internet-Konzerns mit ihren markanten Laser-Radar-Aufsätzen auf dem Dach. Ford, BMW, die Opel-Mutter General Motors – alle kündigten inzwischen eigene selbstfahrende Fahrzeuge bis zum Jahr 2021 an. Und das wird die Branche massiv verändern.
Denn Roboterwagen führen die Autokonzerne auf ein neues Terrain mit anderen Spielregeln. Markenbindung, Vertriebskanäle, über Jahrzehnte gewachsenes Know-How in Entwicklung und Produktion – alles wird in Frage gestellt. Experten sind sich einig, dass die selbstfahrenden Autos in großem Stil als Roboter-Taxis in der Stadt zum Einsatz kommen. Und diese werden mit ziemlicher Sicherheit elektrisch sein.
Daraus ergeben sich gleich mehrere Gründe, warum die Karten schnell neu gemischt werden können. «Wer Mobilität nutzt, ist an einer Marke nicht vorrangig interessiert», sagt Branchenexperte Axel Schmidt von der Unternehmensberatung Accenture. Es werde zwar einen Unterschied zwischen verschiedenen Preiskategorien geben – «aber ob dann in der Mittelklasse ein Ford oder ein Toyota kommt, ist Ihnen egal». Man suche sich eine Zugverbindung schließlich auch nicht danach aus, ob ein ICE 2 oder ein ICE 3 fährt.
Und mit Elektrowagen, die einfacher zu bauen und zu warten sind, sinkt im Autogeschäft zudem drastisch die Einstiegshürde für neue Player. Tesla machte vor, wie ein neuer Hersteller entstehen kann. In China wollen das Firmen wie LeEco mit dem US-Ableger Faraday Future schaffen. In Europa kündigte gerade erst das Start-up Amber Mobility ein Elektroauto aus eigener Entwicklung an, das für 33 Euro pro Woche im Carsharing-Verfahren zur Verfügung stehen soll. Mit der Zeit sollen auch beim Amber One Roboterwagen-Fähigkeiten dazukommen.
In dieser Situation ist es kein Wunder, dass sich die Autobauer in den vergangenen Monaten in Partnerschaften mit Anbietern von Fahrdienst-Apps stürzten. Ford und Volvo stellen Uber Fahrzeuge zum Umbau in selbstfahrende Autos bereit. GM investierte Anfang des Jahres eine halbe Milliarde Dollar in den amerikanischen Uber-Rivalen Lyft, Volkswagen 300 Millionen Dollar in den ähnlichen Dienst Gett und Daimler ergänzte seine App MyTaxi jüngst mit dem Taxi-Vermittler Hailo. Die französischen Konzerne Peugeot und Renault kündigten vor dem Pariser Autosalon (1. bis 16. Oktober) den Aufbau eigener Mobilitätsdienste an.
Bei diesen Plänen gehe es nicht nur um Know-How im zukünftigen Mobilitätsgeschäft, sondern auch schlicht darum, sich einen Vertriebskanal zu sichern, sagt Schmidt. Zugleich sei im Markt nicht endlos Raum für viele Dienste. «Ich glaube nicht, dass in einem Gebiet Platz für mehrere Mobilitätsanbieter ist, weil die Plattform nur rentabel ist, wenn man das Volumen hat.»
Solche großen Plattformen können von Uber oder Google kommen. «Die Internetfirmen wollen die Plattform-Ökonomie beherrschen und suchen sich dafür die Partner», sagt Accenture-Experte Schmidt. «Jeder Autohersteller ist ein Zwerg im Vergleich zu Google, wenn es etwa um den Börsenwert geht oder die Fähigkeit, Daten zu sammeln und auszuwerten.» Uber-Chef Travis Kalanick macht keinen Hehl daraus, dass sein Start-up in die Entwicklung von Roboterwagen-Technologie einstieg, um nicht Google das Feld beim Transportsystem der Zukunft zu überlassen.
Die Autobranche verhält sich entsprechend. Daimler, BMW und Audi kauften sich Ende 2015 für mehr als 2,6 Milliarden Euro den Nokia-Kartendienst Here, um auf dieser Basis ein eigenes Service-Geschäft als Alternative zur Smartphone-Integration aufzubauen. Jetzt kommt die erste Ankündigung: Daten von Sensoren aus Fahrzeugen der drei Hersteller sollen über die Here-Plattform ausgetauscht werden, um bessere Informationen zu Staus, Unfallstellen oder Glatteis zu liefern. Die Kartendienste der Autobauer konkurrieren mit denen von Apple und Google in den Smartphones. «Die Frage ist, werden zwei Ökosysteme nebeneinander im Auto überleben? Ich glaube: Nein», sagt Schmidt. «Dieses Spiel ist aber noch nicht entschieden.»
Und obwohl Google den Herstellern seine seit Jahren entwickelte Technologie für Roboterwagen andient, setzen Player aus der Branche lieber auf die Entwicklung eigener Alternativen. So taten sich jüngst die Zulieferer MobilEye und Delphi zusammen, die Herstellern ein günstiges System «für einige tausend Dollar» bieten wollen. Und auch Volvo und der Zulieferer Autoliv wollen die Branche beliefern. Fiat Chrysler probiert bisher als einziger Autokonzern den Einbau von Google-Technologie in 100 Minivans aus. «Es herrscht Krieg zwischen Autoindustrie und Tech-Branche», sagt ein ranghoher Manager eines Zulieferers.
Die ganz große Frage allerdings ist, in welchem Maße die Mobilitäts-Modelle mit Roboterwagen tatsächlich den heutigen Verkauf von Autos ablösen werden. Der Mitgründer des Fahrten-Vermittlers Lyft, John Zimmer, prognostizierte vor kurzem, dass in fünf Jahren der Großteil der Fahrten auf der Plattform bereits mit selbstfahrenden Autos abgewickelt werde. Und zum Jahr 2025 werde der private Autobesitz in amerikanischen Städten weitgehend der Vergangenheit angehören. «Autobesitz wird den Weg der DVD gehen.» Andererseits glaubt man selbst beim Konkurrenten Uber, dass es außerhalb der Großstädte nicht so einfach sein wird, eine Alternative zum eigenen Auto zu bieten.
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(dpa)